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== Hintergrund ==
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=== Entstehung ===
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Dem 1983 im [[Fischer Taschenbuch Verlag]] erschienene 142-seitigen Buch ”Die Personalakten der Johanna Geisler” liegt das Dokument aus dem Archiv des [[Staatstheater Wiesbaden|Staatstheaters Wiesbaden]] ”Personal-Akten betreffend die Chorsängerin Frl. Geisler” zu Grunde. Das Dokument hatte achtzig Jahre und zwei Weltkriege überstanden, bevor es von Lotte Klemperer, der Tochter des international bekannten Dirigenten Otto Klemperer nach dem Tod ihrer Mutter – dessen Frau Johanna Geisler – aufgespürt wurde. Dazu kommentiert sie „An [[Bürokratie]] ist manchmal doch was dran … “.<ref>Vorwort ”Wie es dazu kam”, ”Personalakten” 1983, S. 5–7, hier S. 6.</ref>
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Dem 1983 im [[Fischer Taschenbuch Verlag]] erschienene 142-seitigen Buch ”Die Personalakten der Johanna Geisler” liegt das Dokument aus dem Archiv des [[Staatstheater Wiesbaden|Staatstheaters Wiesbaden]] ”Personal-Akten betreffend die Chorsängerin Frl. Geisler” zu Grunde. Das Dokument hatte achtzig Jahre und zwei Weltkriege überstanden, bevor es von Lotte Klemperer, der Tochter des international bekannten Dirigenten Otto Klemperer nach dem Tod ihrer Mutter – dessen Frau Johanna Geisler – aufgespürt wurde. Dazu kommentiert sie „An [[Bürokratie]] ist manchmal doch was dran … “.<ref>Vorwort ”Wie es dazu kam”, ”Personalakten” 1983, S. 5–7, hier S. 6.</ref>
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Um sich ein Bild von ihrer Mutter zu machen, von deren Leben und Persönlichkeit sie bis dahin nichts wusste, recherchierte sie viele weitere Fakten: zur Geburt ihrer Mutter – einem Waisenkind – und zu deren Pflegeeltern, dann Zeitzeugnisse wie Zeitungsausschnitte und Anderes über Werdegang und Engagements im Leben als Sängerin. Wie diese zum Singen kam und was das junge Mädchen, das niemals richtig Musik studierte, am Theater erlebte. Aus nüchternen Einzelheiten erarbeitete sich die Autorin eine Vorstellung vom beschwerlichen Weg ihrer Mutter als zunächst Chorsängerin unter der patriarchalisch-bürokratischen Verwaltung der Opernhäuser [[Hannover]], [[Dessau]] und [[Wiesbaden]] von 1903–1911 bis hin zu deren Solo-Erfolgen in Mainz und Köln ab 1912. In ihrer Einleitung ”Wie es dazu kam” schreibt sie, dass ”nichts” in diesem Buche ”erdichtet” sei. Ihre Zwischentexte seien lediglich die Verbindung zwischen den recherchierten Dokumenten, die den „kaum alltäglichen“ Lebensweg ihrer Mutter, der Sängerin Johanna Geisler und dann Frau Otto Klemperers „in Stichproben“ darstellten.
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Um sich ein Bild von ihrer Mutter zu machen, von deren Leben und Persönlichkeit sie bis dahin nichts wusste, recherchierte sie viele weitere Fakten: zur Geburt ihrer Mutter – einem Waisenkind – und zu deren Pflegeeltern, dann Zeitzeugnisse wie Zeitungsausschnitte und Anderes über Werdegang und Engagements im Leben als Sängerin. Wie diese zum Singen kam und was das junge Mädchen, das niemals richtig Musik studierte, am Theater erlebte. Aus nüchternen Einzelheiten erarbeitete sich die Autorin eine Vorstellung vom beschwerlichen Weg ihrer Mutter als zunächst Chorsängerin unter der patriarchalisch-bürokratischen Verwaltung der Opernhäuser [[Hannover]], [[Dessau]] und [[Wiesbaden]] von 1903–1911 bis hin zu deren Solo-Erfolgen in Mainz und Köln ab 1912. In ihrer Einleitung ”Wie es dazu kam” schreibt sie, dass ”nichts” in diesem Buche ”erdichtet” sei. Ihre Zwischentexte seien lediglich die Verbindung zwischen den recherchierten Dokumenten, die den „kaum alltäglichen“ Lebensweg ihrer Mutter, der Sängerin Johanna Geisler und dann Frau Otto Klemperers „in Stichproben“ darstellten.
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Lotte Klemperer (1928–2003), die Tochter der Sängerin Johanna Geisler und des Dirigenten Otto Klemperer, bezeichnet sich selbst als „Herausgeberin“ dieser „Dokumentation in Stichproben“, die jedoch weit mehr ist. Als Tochter setzt sie sich, vertieft aufgrund familiärer Bande, mit der gesellschaftlich-sozialen Situation ihrer Mutter als Waisenkind und begabte, selbständig heranwachsende Künstlerin und ledige Kindesmutter auseinander. Bei gleichzeitiger Zurücknahme persönlicher Betroffenheit erschließt die Autorin ein „nicht alltägliches“ Frauen- und Künstlerinnenschicksal vom Ende des 19. und Anfang des 20. Jahrhunderts und zugleich eine musikalische Kulturepoche.
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Lotte Klemperer (1928–2003), die Tochter der Sängerin Johanna Geisler und des Dirigenten Otto Klemperer, bezeichnet sich selbst als „Herausgeberin“ dieser „Dokumentation in Stichproben“, die jedoch weit mehr ist. Als Tochter setzt sie sich, vertieft aufgrund familiärer Bande, mit der gesellschaftlich-sozialen Situation ihrer Mutter als Waisenkind und begabte, selbständig heranwachsende Künstlerin und ledige Kindesmutter auseinander. Bei gleichzeitiger Zurücknahme persönlicher Betroffenheit erschließt die Autorin ein „nicht alltägliches“ Frauen- und Künstlerinnenschicksal vom Ende des 19. und Anfang des 20. Jahrhunderts und zugleich eine musikalische Kulturepoche.
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== Inhalt ==
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== Der unbekannte Lebensweg Johanna Geislers bis 1919 ==
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Als Johanna Geisler 1919 mit dem Kölner Operndirigenten [[Otto Klemperer]] die Ehe einging, war sie selbst dort bereits als Opernsolistin engagiert.
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Als Johanna Geisler 1919 mit dem Kölner Operndirigenten [[Otto Klemperer]] die Ehe einging, war sie selbst dort bereits als Opernsolistin engagiert.
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Johanna Geislers Lebensumstände bis dahin, von klein an, ihre uneheliche Geburt, der „Kuhhandel“ mit dem Säugling per Zeitungsannonce (die im Buch abgedruckt ist) in die Hände eines Ehepaares aus armen Verhältnissen (die Übergabe war in einem Stall) und ihre [[autark]]e weitere Entwicklung wurden von ihrer Tochter Lotte Klemperer erschlossen.<ref>Lotte Klemperer (Hrsg.): ”Die Personalakten der Johanna Geisler. Eine Dokumentation in Stichproben.” Fischer TB Verlag, Frankfurt 1983, ISBN 3-596-25626-7.</ref> Die akribische Recherche der Tochter über den Lebensweg ihrer Mutter – den einer großen Künstlerin, von dem sie zu deren Lebzeiten keine Ahnung hatte – offenbart den Grund dafür: die Mutter hatte im Schatten ihres berühmten Vaters gestanden.
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Johanna Geislers Lebensumstände bis dahin, von klein an, ihre uneheliche Geburt, der „Kuhhandel“ mit dem Säugling per Zeitungsannonce (die im Buch abgedruckt ist) in die Hände eines Ehepaares aus armen Verhältnissen (die Übergabe war in einem Stall) und ihre [[autark]]e weitere Entwicklung wurden von ihrer Tochter Lotte Klemperer erschlossen.<ref>Lotte Klemperer (Hrsg.): ”Die Personalakten der Johanna Geisler. Eine Dokumentation in Stichproben.” Fischer TB Verlag, Frankfurt 1983, ISBN 3-596-25626-7.</ref> Die akribische Recherche der Tochter über den Lebensweg ihrer Mutter – den einer großen Künstlerin, von dem sie zu deren Lebzeiten keine Ahnung hatte – offenbart den Grund dafür: die Mutter hatte im Schatten ihres berühmten Vaters gestanden.
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Die Autorin berichtet von der Anstellung ihrer Mutter als 10-jährige Verkäuferin und schließlich über die Entdeckung deren schöner Stimme im Kirchenchor, die der 14-Jährigen einen Vertrag als Volontärin im Opernchor ebnete. Dann vom ersten Schritt in die Selbständigkeit, dem Auszug aus der Wohnung der Pflegeeltern in ein eigenes Zimmer, das sich (wie sie später begreift) im Hause eines Bordells befindet, bei dessen Bewohnern sie jedoch erstmals menschliche Wärme spürt. Dort lernt sie einen Verehrer kennen, einen Offizier aus gutem Hause, der die 18-Jährige schwängert, aber sie nicht heiraten „kann“.
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Die Autorin berichtet von der Anstellung ihrer Mutter als 10-jährige Verkäuferin und schließlich über die Entdeckung deren schöner Stimme im Kirchenchor, die der 14-Jährigen einen Vertrag als Volontärin im Opernchor ebnete. Dann vom ersten Schritt in die Selbständigkeit, dem Auszug aus der Wohnung der Pflegeeltern in ein eigenes Zimmer, das sich (wie sie später begreift) im Hause eines Bordells befindet, bei dessen Bewohnern sie jedoch erstmals menschliche Wärme spürt. Dort lernt sie einen Verehrer kennen, einen Offizier aus gutem Hause, der die 18-Jährige schwängert, aber sie nicht heiraten „kann“.<!–[Die Daten der zwei Schwangerschaften sind verwechselt]–> Wie sie ihre Schwangerschaft bei unausgesetzten Aufführungen am Theater bis zuletzt geheimhält, ihr Fernbleiben dort zur Entbindung als „Krankheit“ ausgibt und danach – auf Zureden des Kindesvaters – kündigt, damit kein „Klatsch“ entstehen könne (den er fürchtet),<ref>Klemperer 1983, S. 24–32.</ref> ist anhand der – wie für alle Ereignisse – detailreichen Einzelheiten unmittelbar dokumentiert. Unter ähnlich desolaten Bedingungen bekommt sie bald ein zweites Kind, das nach vier Tagen stirbt. Zu all diesen recherchierten Fakten lautet Lotte Klemperers Kommentar: „Das Dokumentarische […] soll für sich sprechen“.<ref>Lotte Klemperer: ”Die Personalakten”, 1983, S. 7.</ref>
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Johanna Geislers außergewöhnlicher Stimmumfang entwickelte sich, nicht zuletzt durch Begabung und anhaltenden Fleiß vom Alt II, der tiefsten weiblichen Stimmlage im Chor bis in die höchste [[Koloratursopran]]lage der ”Königin der Nacht” in [[Mozart]]s [[Zauberflöte]].
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Johanna Geislers außergewöhnlicher Stimmumfang entwickelte sich, nicht zuletzt durch Begabung und anhaltenden Fleiß vom Alt II, der tiefsten weiblichen Stimmlage im Chor bis in die höchste [[Koloratursopran]]lage der ”Königin der Nacht” in [[Mozart]]s [[Zauberflöte]].
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